Challah

Vom Konflikt, den ganzen Menschen hier, dem Studium, den hunderten Ultraorthodoxen, die letzte Woche stundenlang schreiend den Eingang zur Stadt (und den Heimweg von der Uni) versperrt haben und dem Fahrstil der BusfahrerInnen mal abgesehen sind die beiden aufregendsten Dinge an meinem Aufenthalt hier 1. der Fakt, dass ich in einer (halb)veganen WG wohne und 2. unser Toasterofen. Das hier ist Challah – aka „egg bread“ / ein „[t]raditioneller Hefezopf mit Eiern“ (Zitate Internet) – aber ohne Eier. Die erste wurde zu salzig, die zweite schmeckte zu stark nach Hefe, und die hier, mit etwas Dattelsirup im Teig, war ganz ok. Jetzt ist sie fort. Nachher esse ich مجدرة von meinem Mitbewohner und später sind in einer Strasse in meiner Nähe ganz viele Konzerte, und ich bereue, dass ich in den Ferien zu faul für meine Seminararbeit war und die jetzt, wo schon die nächste Deadline naht,* ganz dringend noch fertig geschrieben werden will.

*How valid is George Steiner’s idea that the whole of humanistic culture must be held responsible for what went wrong between 1933 and 1945?, falls jemand grad 5 Minuten Zeit hat und ghostwriten möchte.

Mein Zimmer

Weil ich immer noch ganz verliebt bin. Mein Fenster geht auf eine Art Innenhof, der wie eine Echokammer funktioniert. Gerade höre ich die Pornos, die die Person mir schräg gegenüber manchmal schaut. So in einer Stunde, gegen zwei Uhr nachts, kommt dann wahrscheinlich die alte Frau, die ganz laut schreit „Lo, ani lo roza!!“, was soviel heisst wie „Nein, ich will nicht!“ Morgen früh höre ich das Baby auf der Gegenseite und Nachmittags die Opernsängerin und die Person, die seit etwa drei Wochen die immergleiche Instrumentalversion von Despacito hört. Es ist ein bisschen wie Theater. Das einzige, was mich stört, ist Despacito (und ich hoffe, der alten Frau geht es gut).

Shakespeare im Park

Damals, im Sommer, als es Abends noch nicht unmenschlich kalt war, lief Shakespeare im Park. Wir sind einmal gegangen und sind den SchauspielerInnen durch den ganzen Gan Bloomfield gefolgt. Ich bin eineinhalb Stunden zu spät gekommen und habe trotzdem noch zwei Stunden Taming of the Shrew gesehen.

Gan Bloomfield ist mein Lieblinspark. An Shabbat kann man dort unter Olivenbäumen liegen und dem Flöten- und Oudspieler zuhören, der etwas weiter unten am Hang übt. Noch etwas weiter weg blühen die schönsten Blumen und stehen die hübschesten Häuser, und über ihre Dächer hinweg sieht man auf die Altstadt. Zwischen Blumen, Bäumen und dem Musikanten hasten palästinensische Hochzeitspaare durch den Park, begleitet von Fototeams, und posieren fürs Hochzeitsalbum. Jüdische Hochzeiten habe ich hier noch keine gesehen, aber dafür umso mehr Gross- und Kleinfamilien, auf bunte Picknickdecken verteilt.

Shabbat auf dem Shuk

Freitags schliessen in Jerusalem bis auf ein paar ganz (wirklich ausgesprochen) wenige Bars, Cafés und Lebensmittelläden alle Geschäfte etwas früher als sonst. Der Shuk ist in den späten Nachmittagsstunden besonders voll – es ist fast unmöglich, sich durchs Gewusel zu zwängen, und vor den Brot- und Gemüseständen herrscht grosses Gedränge. Je tiefer die Sonne sinkt, desto ruhiger wird es in den Marktgassen. Diese beiden Kinder schauen an einem Augustabend dem letzten Treiben zu; bald erklingt die Shabbatsirene, und dann wird Jerusalem zur Geisterstadt.

Yom Kippur

Yom Kippur ist der heiligste Tag im Judentum. Es ist der Tag, an dem man sich von allen Sünden reinigt (viel praktischer als Beichten) und an dem auch viele säkulare JüdInnen fasten. Ausserdem fahren keine Autos, Busse oder sonstigen Gefährte, ausser Velos. Wir sind zu dritt nach Tel Aviv gereist und dort zusammen mit dem Rest der Stadt durch die verkehrsfreien Strassen spaziert.

(Dieses Foto hat eine Freundin von mir aufgenommen.)

Wände sprechen Bände

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Massenschläge sind alle irgendwie gleich. So dunkel, dass man fast gar nichts mehr sieht, wenn man auf der fleckig-blauen Matratze mit den feinen roten Streifchen drauf sitzt, über sich eine Holzplatte mit mehr solcher Matratzen. An den Wänden viereckige Kästchen, in denen man allerlei Dinge verstauen kann, das Allerlei darunter über den Boden verstreut. Leitern, die, wenn man sie erklettert, machen, dass die Füsse schmerzen, die aber sowieso als Wäschehänger benutzt werden. Aber das beste an Massenschlägen sind die Wände und Bettunterseiten, wo es alles mögliche zu lesen und zu sehen gibt. Schade, dass diese Inschriften nicht ewig überdauern werden. Sie gäben in zweihundert Jahren einen interessanten Forschungsgegenstand ab.