Heinrich Böll: Ansichten eines Clowns

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Einen „Moralisten mit clownesken Zügen“ nannte 1987 Marcel Reich-Ranicki Heinrich Böll, jenen bedeutenden Schriftsteller der Trümmerliteratur. Ein Clown auch Bölls Protagonist im 1963  erschienenen Roman, ein Komiker, dessen Leben die Komik entfällt. Wenig dicker als dessen Zigarettenschachtel liegt die Geschichte von Hans Schnier in der Hand, dreieinhalb Stunden bloss umfasst die Rahmengeschichte. Schnier raucht, telefoniert und rechnet mit der Gesellschaft ab. Seine Sätze tragen in ihrer Schlichte die grossen Vorwürfe des Zeitkritikers Böll.

Böll schont seine Leser. Indirekt äussert er seine Kritik, in Personen verpackt, durch Satire. Er spricht, so  Reich-Ranicki, „von deutscher Schuld und Deutscher Literatur in einem Atemzug“. Böll malt den katholischen Spiessbürger, den ehemaligen Nationalsozialisten, der sich in den Schutz der Amtskirche verschlichen hat. Während eines Interviews mit Reich-Ranicki sagte Böll: „Aber im Grunde interessieren mich als Autor nur zwei Themen: die Liebe und die Religion. Für beide Themen ist im innerdeutschen Katholizismus kein Platz.“

So verliert Schnier denn auch seine Freundin Marie an deren katholische Glaubensgenossen. Sie streift ihn mitsamt seinem laschen Künstlerleben ab und heiratet einen katholischen Verbandsfunktionären, dessen Name allein schon ein geordnetes Leben ausserhalb des Konkubinats, wie Böll einen Theologen Maries Partnerschaft mit Schnier bezeichnen lässt, verspricht.

Manchen Lesern schien seinerzeit Bölls Beziehung zur Kirche ein wenig frivol. Tatsächlich unterschied der Autor aber sehr genau zwischen Glauben und der bürokratischen Glaubensauslebung durch die Kirche, wobei er letztere stark kritisierte, obschon er behauptete, dass Ansichten eines Clowns „nicht vom Anti-Katholizismus geprägt“ sei.

Schnier, der am Telefon Gerüche wahrnehmen kann und um zu leben mit erlernt ausdrucksloser Mimik jene Menschen unterhält, die er ablehnt, verfällt nach Maries Verlassen gänzlich dem Alkohol und seiner Melancholie. Diese hilflose Trostlosigkeit setzt ein Ausrufezeichen hinter Bölls Vorwürfe.

,,Ich bin ein Clown und sammle Augenblicke“, sagt Hans Schnier an einer Stelle. Die plakativsten Augenblicke aus seinem Leben, in regelmässigen Reflexionen erzählt, suggerieren schon den Lebensstil des Clowns. Er lebt nicht in der Realität, sondern für die Rückblenden auf sein Leben, an dessen Wendepunkt er gerade steht.  Der innere Konflikt des Protagonisten spitzt sich zu und verlangt nach einer Lösung, die nur in der Handlungsebene zu finden ist. Doch immer lässt Böll die Handlung in die fragmentarische Erinnerungsebene Schniers zurückfallen und dehnt die dreieinhalb Stunden weiter und weiter. Wer als Leser nach einer überraschenden Pointe fragt, ist fehl am Platz.

Der Roman ist wohlkonstruiert. Geschickt stellt Böll Erinnerungen und Realität einander gegenüber, wodurch teilweise das eine schwer vom andern zu unterscheiden ist, und tritt dabei als Erzähler vollständig zurück. Alles ist eingefärbt durch die Perspektive des Protagonisten und am Ende des Buches bleibt kein auktorialer Erzähler, um dem Leser den noch halboffenen Schluss zu deuten. Das soll so auch nicht sein. Die Lektüre dieses Buches ist ein Einblick in den Versuch Bölls, Vergangenheit und Gegenwart zu verarbeiten. Der Leser will das Werk vollumfänglich verstehen, sucht den Schlüssel in der Offenheit dessen Ende. Er beginnt, zu reflektieren – und tut so genau das, was Böll wollte.

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